Friedensnobelpreis 1934: Arthur Henderson

Friedensnobelpreis 1934: Arthur Henderson
Friedensnobelpreis 1934: Arthur Henderson
 
Der britische Politiker erhielt den Nobelpreis für seine Arbeit als Vorsitzender der Genfer Abrüstungskonferenz und seine Bemühungen um den Frieden.
 
 
Arthur Henderson, * Glasgow 13. 9. 1863, ✝ London 20. 10. 1935; 1908-11, 1914-22 und 1931-34 Vorsitzender der Labour-Party, 1924 Innenminister, 1929-31 Außenminister, 1932-35 Vorsitzender der Genfer Abrüstungskonferenz.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Dem Briten Arthur Henderson wurde der Friedensnobelpreis für seine Bemühungen in einer Sache verliehen, die nicht mehr zu retten war. Auf Veranlassung des Völkerbunds war Henderson Ende 1931 zum Vorsitzenden einer internationalen Abrüstungskonferenz bestellt worden. Am 2. Februar 1932 wurde sie in Genf mit Regierungsvertretern aus 61 Staaten feierlich eröffnet. Ziel der Konferenz war es, nach Wegen zu suchen, international die Zahl der Streitkräfte und der Waffen zu verringern.
 
 Der geborene Schlichter
 
Mit Henderson schien die geeignete Persönlichkeit für die Durchführung dieser schwierigen Aufgabe gefunden worden zu sein. Eigentlich Gewerkschafter und gelernter Eisengießer, war Henderson entscheidend an dem Aufbau der britischen Labour-Partei beteiligt gewesen. Viele Jahre lang hatte er den Vorsitz der Arbeiterpartei inne und bewährte sich dabei als Schlichter zwischen den verschiedenen Strömungen der Partei. Er befürwortete zwar den Eintritt Englands in den Ersten Weltkrieg, gehörte auch dem britischen Kriegskabinett an, setzte sich zugleich aber nachhaltig für Friedenslösungen ein. Als er bei seinen Kabinettskollegen keine Zustimmung für eine von dem schwedischen Politiker Hjalmar Branting (Nobelpreis 1921) geplante Friedenskonferenz fand, trat Henderson aus der Regierung aus. Nach dem Krieg unterstützte er die Einrichtung des Völkerbunds, in dem er den »Schlüssel zum Weltfrieden« sah, und auch als britischer Außenminister warb er unermüdlich für Frieden und Abrüstung.
 
Dass die Genfer Abrüstungskonferenz überhaupt zustande kam, war nicht zuletzt das Verdienst Hendersons, der im Vorfeld gegen manche Widerstände, auch im eigenen Land und in der eigenen Partei, die Weichen dazu gestellt hatte. Er eröffnete die Genfer Abrüstungskonferenz in der festen Überzeugung, dass damit seine Vorstellungen von Ausgleich und Entspannung in die Tat umgesetzt würden. Doch die Verhandlungen standen von Anfang an unter keinem guten Stern. Gleich zu Anfang setzte der deutsche Reichskanzler Heinrich Brüning die Delegierten unter Druck. Er verlangte für Deutschland die Gleichberechtigung auf allen Gebieten, also auch bei der Rüstung. Dies bedeutete allerdings eine erhebliche Revision der Nachkriegsordnung, die immer noch auf dem Versailler Vertrag von 1919 beruhte. In diesem war die Heeresstärke Deutschlands auf ein Minimum beschränkt worden.
 
 Deutschland als Unsicherheitsfaktor
 
Brünings Vorstoß versetzte die Delegierten in Genf in einige Aufregung. Deutschland war zwar durch die Aufnahme in den Völkerbund (1926) wieder zu einem respektierten Mitglied der internationalen Staatenwelt geworden und die wirtschaftlichen Beziehungen hatten sich inzwischen normalisiert. Doch zu tief saß bei vielen Staaten die Furcht vor einem militärisch starken Deutschland. Insbesondere die Franzosen waren misstrauisch gegenüber dem großen Nachbarn im Osten. So wurde die Konferenz bereits im Sommer 1932 ergebnislos vertagt. Die Delegierten begleitete die deutsche Ankündigung, im Falle der Verweigerung der Gleichberechtigung nicht mehr an der Konferenz teilzunehmen. Für Henderson war der bisherige Verlauf der Konferenz eine schwere Enttäuschung. Formal zwar Präsident, hatte er wenig Einfluss ausüben können, zumal er durch eine verheerende Wahlniederlage der Labour-Partei im Oktober 1931, die ihn sogar seinen Sitz im britischen Parlament kostete, international an politischem Gewicht verloren hatte.
 
Bewegung kam wieder in die Abrüstungsdebatte, als die Deutschen im Oktober 1932 von den internationalen Mächten die gewünschte Erklärung der Gleichberechtigung erhielten. Frankreich aber antwortete mit einem eigenen Plan, wonach die nationalen Streitkräfte unter die Kontrolle des Völkerbunds gestellt werden sollten. Henderson vertagte die Genfer Abrüstungskonferenz erneut, diesmal auf den 31. Januar 1933.
 
 Scheitern der Abrüstungskonferenz
 
Damals konnte er noch nicht absehen, dass einen Tag vor diesem Termin Adolf Hitler deutscher Reichskanzler werden würde. Die Übernahme der Regierung durch die Nationalsozialisten stellte die deutsche Außenpolitik auf eine völlig neue Grundlage. Von Anfang an zielte sie auf eine Beseitigung des »Versailler Diktats«. Nicht Gleichberechtigung wollte Hitler für Deutschland, sondern Macht und Herrschaft. Daher war ihm an internationaler Einbindung ebenso wenig gelegen wie an Abrüstung. Das nationalsozialistische Deutschland strebte den Aufbau einer gewaltigen Militärmaschinerie an. Doch Hitler war Taktiker genug, seine Pläne der internationalen Öffentlichkeit nicht überstürzt zu offenbaren. So nahm Deutschland auch 1933 weiter an der Genfer Abrüstungskonferenz teil. Die deutschen Delegierten nutzten die Gelegenheit, den Ansprüchen Hitlers mehr und mehr Nachdruck zu verleihen. In den USA und vor allem in England gab es nicht wenige Stimmen, die dazu rieten, den »berechtigten Forderungen« Hitlers nachzugeben. Am 14. Oktober 1933 gab Hitler seine Zurückhaltung auf: Deutschland, so erklärte er, werde künftig nicht mehr an der Abrüstungskonferenz teilnehmen. Gleichzeitig wurde der Austritt aus dem Völkerbund verkündet. In einer Rundfunkansprache begründete er das Verlassen der Genfer Konferenz mit einer angeblichen Diskriminierung Deutschlands durch die anderen Staaten. Jetzt war der Weg zur ungehemmten deutschen Aufrüstung frei. Die Genfer Konferenz war gescheitert und auch dadurch, dass die Japaner in Ostasien eine weit reichende Eroberungspolitik betrieben.
 
Zwar setzte die Konferenz ihre Arbeit noch fort, doch ohne die Deutschen war eine umfassende Abrüstungsregelung zur Illusion geworden. In den folgenden Jahren entstand jene Militärmacht, mit der Hitler 1939 den Zweiten Weltkrieg begann. Dem Friedenspolitiker Henderson blieb es erspart, dieses Ende seiner Vorstellungen und Visionen erleben zu müssen. Bereits 1935 erlag er einer schweren Krankheit, die ihn auch während der Verhandlungen in Genf erheblich beeinträchtigt hatte. Dass ihn das Nobelpreiskomitee demonstrativ mit dem Nobelpreis auszeichnete, konnte für Henderson nur ein schwacher Trost sein. Das Ziel des gläubigen Christen, auch in der Politik christliche Grundsätze zu verwirklichen, war für seine Zeit zu hoch gesteckt. Doch in der Erinnerung bleibt er, in den Worten des Nobelpreiskomitees, ein »Staatsmann, der auf die Verwirklichung von Friedensplänen hingearbeitet hat«.
 
H. Sonnabend

Universal-Lexikon. 2012.

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